19. Juli 2011

Labacolla, hier in den einst klaren schoenen Baechen wuschen sich die Pilger bevor sie nach Santiago einliefen.
:) 


"Die Menschenrechte sind nackt."
 18. Wandertag, Pedrouzo- Santiago, 21,2km

07.15 Uhr aufstehen, 07.40 Uhr fruehstueck, 08.00Uhr losgehen
Das Wetter ist unveraendert, es nieselt aber am Horizont scheint die SONNE.
Wir sind relativ gut drauf, uns trennen nur noch wenige Kilometer und mit jedem Schritt werden es weniger. Doch trotzdem wollen wir nur bis Monto do Gozo, Zeit schinden. Ich moechte dem Blog einen witzigen Beitrag leisten und habe mir ueberlegt die letzten 10km wie in einem Countdown einer tickenden Bombe herunterzaehlen zu lassen, in dem ich bei jedem geschafften Kilometer den Monolith mit der Kilometeranzeige und der Jakobsmuschel ablichte, doch der Pilgeransturm von letztem Jahr hat seine Spuren hinterlassen, und so ist jeder Pfeil vollgeschmiert, die Jakobsmuscheln haben Risse und die Kilometeranzeigen wurden herausgeschlagen. Es ist deprimierend. Unterwegs hoeren wir auf die Pilger zu zaehlen, die 70 vom gestriegen Tag haben uns so geschockt, dass wir jetzt die 100 und mehr fast verabscheuen, obwohl wir selbst dazu gehoeren. Wir gehen heute deutlich langsamer und ganz entspannt, wie auf einem Spaziergang und trotzdem ueberholen wir viele Menschen die humpelnd und schleichend sich zum Tor der Kathedrale in Santiago schleppen. Der Weg neigt sich dem Ende zu und dass merken wir stark. Die Anzahl der  Herbergen und Bars steigt stetig, waehrend die Abstaende zwischen ihnen sinken und so hat das ganze fuer mich nichts mehr mit Durchhalten und Pilgern zu tun. In den Bars sitzen immer mehr Pilger, die laut quatschen, essen und die Natur vollmuellen. Auf dem Weg verlangen immer mehr Radfahrer mithilfe lustiger Warngerauesche freie Fahrt von uns Pilgern. Die Menschen gruessen nicht mehr, waehrend die Werbung immer intensiver wird und als wir kurz vor dem Flughafen von Santiago, nocheinmal an der Strasse entlang und an drei Pilgern vorbei gehen, die sich ihre Regencapes anziehen, sagt Georg im Vorbeigehen zu diesen: Its not rain its just mist. Ich kann vor Verzweifelung nur noch lachen und die Ironie rettet uns vor schlechter Laune. In einer Bar, wollen wir eig. nur kurz noch einen 2. Tagesstempel abholen, als wir lauter glitzernde Punkte in dem Gestein des Raumes entdecken. Hier haben Pilger ihre Kupferpfennige hinterlassen und nach einem Kaffee hinterlassen auch wir einen Cent.  Georg hatte mir und den Daenen von dem Dorf Labarcolla erzaeht, wo die Pilger in dem Bach sich frueher wuschen, ehe sie nach Santiago einzugen. Doch aus den schoenen Fluessen aus Georgs Erzaehlungen sind zwei kleine zugewachsenen Baeche geworden. Ich mache trotzdem ein Foto, zur Dokumentation. Zwischen Flugplatz und Nationalstrasse geht es jetzt die letzten Kilometer nach Monto do Gozo auf einem kleinen Pfad, eingeklemmt. Oben angekommen werden wir ueberrascht von einem riesigen Denkmal auf dem "Berg der Freude". Es stammt von dem letzten Papstbesuch und ist aber inzwischen von den Pilgern schon stark abgenutzt. 2 sympatische junge Deutsche, mit denen wir kurz sprechen, machen ein Foto von uns und Georg versucht mir die Richtung zu zeigen in der wir eig. die Kathedrale sehen muessten, wenn man den Horizont nicht inzwischen durch Baeume zugepflanzt haette.
Ich lache verzweifelt, hier soll der Berg der Freude sein? Hier sind die Pilger damals in Traenen ausgebrochen? Ich hatte mir auf dem Weg vorgenommen, die letzten Kilometer von diesem Berg hinunter in die Stadt zu rennen. Ich hatte es mir alles ganz anders vorgestellt und kann nur noch lachen. Ich schlucke diese Enttaueschung hinunter und suche nach dem Positiven. Irgendetwas muss es doch gebracht haben, dass ich so weit gelaufen bin. Ich errinere mich an die Ueberschrift unserers Reisefuehrers, die ich am Anfang noch kitschig und uebertrieben empfunden hatte. Der Weg ist das Ziel, hiess es dort. Der Weg, nicht Santiago, nicht die Kathedrale, nicht der goldenen kalte heilige Jakob, nicht den Sinn des Lebens zu finden und auch nicht um weise nachhause zu kommen. Einfach um auf dem Weg zu sein, um zu laufen. Egal mit wem und wohin. Immer. Der Weg....

Wir beide- der Aelteste und die Juengste aus der Familie- wir haben es geschafft! Jawohl! 
Und in diesem Gefuehl sind wir uns einig, denn auch ich habe es ja auch nocheinmal geschafft- trotz der zunehmenden Hueftschmerzen in den letzten Tagen. Nun ist jetzt auch kein Halten mehr, Magoo will auf der Stelle jetzt die Kathedrale sehen. Da ist keine Rede mehr von einer Uebernachtung in Monto do Gozo, nichteinmal eine Pause kommt mehr in Frage. In uebermuetiger Stimmung rennen wir los, 4km vor dem endgueltigen Ziel werden wir doch jetzt nicht mehr stehen bleiben. Da stoert uns weder die Autobahn, noch die Eisenbahn, noch der Weg durch die langweilige Vorstadt. Wir haben  beide Hunger- macht nichts! Erst wollen wir die Kathedrale sehen, dann sind wir angekommen und koennen uns um den Rest kuemmern. 

Georgs Eintrag in sein Reisetagebuch vervollstaendigt meine Gedanken haargenau, und gleichzeitig in so einem anderen Gedankengang, dass ich finde es wichtig ist, in beide Koepfe von uns hineinzu schauen. Denn ich weiss, dass wir nicht ganz so schnell durch die Vorstadt "gerannt" sind, und das uns auf diesem Wege auch wieder mehere Pilger ueberholt haben, die vor Euphorie nur so brannten. Und ich weiss auch, wie oft ich dem Latte Macchiato mit Eis und Creme gedacht habe, der vorne am Stadteingang angepriesen wurde. Doch im Grunde war es genau so.

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